Michael Danner

 

Prinzip Kunst


Vortrag (Ausschnitt)
an der
Akademie für Wissenschaft, Wirtschaft und Technik an der Universität Ulm e.V.
22.2.2008

 

 

 

1 wie entsteht Kunst?

was macht der Künstler?

 

Unser Leben ist eine ununterbrochene Aneinanderreihung von Situationen, die sich zu unseren Erlebnissen zusammenfügen. Diese Erlebnisse nehmen wir teils bewusst, in ihrer Komplexität jedoch großteils unbewusst wahr. Manche sind von großer Intensität und hinterlassen dadurch einen bleibenderen Eindruck. Dies erleben wir immer in einer einzigartigen, unser eigenen persönlichen Geschichte. Diese ist bedingt von einmaligen Konstellationen und Umständen. Die Reaktion auf die einzelnen Situationen ist abhängig von schon vorher gemachten Erfahrungen.

Dieser Strom von Erlebnissen hinterlässt „innere Bilder“ in unserem Gedächtnis, an die wir uns nur zum Teil bewusst erinnern.

Manche dieser Erfahrungen sind, zwar in einem persönliches Erleben eingebunden, jedoch allgemeiner Art. Grunderfahrungen, wie Freude, Schmerz, Geburt, Bewegung, Ruhe, Berührung, Sinneswahrnehmungen wie süß – sauer, hungrig, durstig, hell – dunkel haben wir alle gemacht.

Eine zweite Kategorie von Erfahrungen sind zeittypische und kulturelle Erfahrungen, wie Geschwindigkeit, zu Fuß gehen, mit der Kutsche, mit dem Auto fahren, mit dem Flugzeug fliegen, künstliches Licht, Kleidung, Krieg, gesellschaftliche Verhaltensformen. Diese Erfahrungen teilen wir nur mit einem Teil der Menschen, Wir haben gemeinsame Erlebnisse mit unseren Zeitgenossen oder mit den Mitglieder einer bestimmten Gesellschaft oder Kultur.

Diese „innere Bildersammlung“ besteht nicht nur aus Abbildhaftem, sondern auch aus Klang- ,Geruchs- und Wortbildern und aus Kombinationen dieser Bereiche.

Wir orientieren uns in unserer komplexen, von unserem beschränkten menschlichen Verstand niemals umfassend durchschaubaren Umwelt, mit Hilfe unserer Erfahrung. Das heißt, wir versuchen unsere gegenwärtige Situation mit vorhandenen Erlebnissen zu vergleichen, sie damit einzuschätzen und dann zu reagieren.

Dieser Strom von „inneren Bildern“, diese „innere Bildersammlung“ ist das Repertoir des Künstlers. Diese „Bildersammlung“ ist oft verschwommen, überlagert und verschüttet. Er sucht nun dafür eine äußere Darstellung, eine Form, eine Struktur zu finden. Bilder werden dadurch deutlich, im wörtlichen Sinn sichtbar. Sie werden in neue Zusammenhänge gebracht, mit der äußeren Realität abgeglichen und neu interpretiert. Weniger Bedeutendes kann von Wichtigerem getrennt werden.

Mit besonderer Sensibilität und Konzentration darauf, in Versuch und Irrtum, erarbeitet der Künstler diese Sichtbarmachung. Der Künstler kann, wie jeder Mensch, nur von dem Ausgehen, was in seinem Erfahrungsschatz ist, was er erlebt hat. Er verwendet besondere Energie, besondere Fähigkeiten und besonderen Aufwand um diese Sichtbarmachung zu bewerkstelligen.

Seine Aufgabe besteht nun auch darin, diese Bilder von dem allzu Persönlichen zu befreien und das Überindividuelle herauszuschälen. Von Bedeutung sind dann allgemeine und zeit-, gesellschaftstypischen Erfahrungen. Selbstverständlich ist ein gewisse persönliche Interpretation immer dabei.

 

 

 

2 Ästhetik (Eigenschaften, die darüber entscheiden, wie Menschen Gegenstände wahrnehmen)

 

- Proportion

- Rhythmus

- Harmonie

- Schönheit

- Farbe

Geschehnisse finden dadurch statt, dass Dinge zueinander ihre Positionen, ihre Beziehungen ändern. Diese Konstellationen sind ineinander durch verschiedene Dimensionsebenen, von der atomaten bis zu der astronomischen, verwoben und bedingen sich immer wieder neu. Es ist eine Dynamik in Raum und Zeit. Wir selbst sind ein Teil davon. Trotzdem können wir nur einen kleinen Teil dieser Bezugsgeflecht wahrnehmen.

Große Positionsveränderungen nehmen wir wahr und reagieren darauf.

Proportionen und Rhythmen sind Maßsysteme um diese Veränderungen zu strukturieren.

Proportion und Rhythmus bezeichnen die Beziehungen der Dinge zueinander .

Wir können sie als harmonisch oder unangenehm wahrnehmen. Je mehr wir diese Relationen gewohnt sind, desto angenehmer empfinden wir sie. Das Verhältnis: der kleine Teil verhält sich zum großen wie der große Teil zum Ganzen, sehen wir unbewusst ständig direkt vor uns. Es ist das Maßverhältnis unseres Daumens und dessen Glieder. Dieses Maßverhältnis empfinden wir als besonders angenehm. Auch nehmen wir unbewußt immer Rhytmen war: Herzschlag, Puls, Tag – Nacht, Jahreszeiten.

Symmetrien empfinden wir als schön: unser Körper, unser Gesicht ist symmetrisch. Dies sind auch allgemeine Wahrnehmungen und über die Veränderung von Proportionen können Empfindungen kommuniziert werden.

Auch Farben sind meist mit gemeinsamen Empfindungen besetzt. Rot wird eher als heiß, feurig, dynamisch oder auch als aggressiv empfunden. So wie eben auch unsere Erfahrung mit Feuer und der roten Glut ist. Blau empfinden wir eher als kalt, kühlend wie Wasser und Eis, fern wie der Himmel.

Diese ästhetischen Eigenschaften entscheiden darüber, wie die Menschen die Dinge wahrnehmen. Dabei gibt es unendliche und unerschöpfliche Kombinationen und Variationen, die immer wieder die Aussagen ändern können.

 

 

 

3 Künstlerische Technik

 

Der Künstler wählt für seine Darstellung eine Form, die seinem Ausdrucksvermögen entspricht: Musik, Wort, seinen Körper, Gegenstände, die er entsprechend verändert (Bildhauerei), Farbe, Linien. Dazu benutzt er im allgemeinen Werkzeuge und technische Hilfsmittel oder auch die Wiedergabe durch körperliche Funktionen (z.B.Stimme).

Um das darzustellen, was er darstellen möchte, ist die Beherrschung der Mittel notwendig. Eine Beherrschung von besonders raffinierten Techniken kann jedoch auch bei der Umsetzung eines Inhaltes hinderlich sein. Die Konzentration ist zu sehr von der Beherrschung der Technik beansprucht, die technische Rafinesse kommt in den Vordergrund, nicht mehr die Botschaft. Auch einfache Techniken erfordern Beherrschung.

Und wir wissen alle, dass es am schwierigsten ist einen komplexen Sachverhalt mit einfachen Worten klar und verständlich auszudrücken. Der Künstler wird meist seine Mittel in Versuch und Irrtum erproben. Durch seine dadurch gewonnenen Erfahrung und Übung wird er die bestmögliche Darstellungsweise suchen

 

 

 

 4 Methoden zur Welterfassung

 

- Religion

- Naturwissenschaft

- Philosophie

- Kunst

Die Welt die uns umgibt und deren Teil wir sind, ist mit ihren mannigfachen Erscheinungen für uns Menschen in ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit nicht zu durchschauen und ist unbegreiflich. Es ist die Diskrepanz zwischen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit, die uns vom Tier unterscheidet und der Beschränktheit unserer kognitiven Fähigkeiten. Um nicht dieser Umwelt völlig ohnmächtig ausgeliefert zu sein, und um die damit verbundene Angst zu bekämpfen sind Bewältigungsmethoden entstanden.

Der Mensch stellt sich höhere Mächte vor, die die unerklärlichen Vorgänge des Lebens regeln. Hinter allem befinden sich Höhere Mächte bzw ein Allmächtiger, die alles erschaffen haben und alles regeln. Ihnen muss man sich durch Anbetung und Rituale gewogen machen. Das irdische Leben korrespondiert mit einem jenseitigen, transzendentem Leben. Diese Methode sich in der Welt zurechtzufinden, ist die Religion.

Eine weitere Methode ist die naturwissenschaftliche. Aus wiederkehrenden Abläufen, die beobachtet werden, werden Gesetzmäßigkeiten abgeleitet. Das Ganze wird in immer kleinere Einheiten aufgeteilt, die erfasst werden können. Die Abläufe werden in logischen Beschreibungen formuliert. Diese Formulierungen können immer wieder angewandt werden. Diese logischen Gesetzmäßigkeiten geben Sicherheit und helfen mit Abläufe vorauszusagen und zu beeinflussen.

In der Philosophie werden in sich logische Gedankengebäude errichtet, die versuchen, die menschliche Existenz und das Zusammenleben der Menschen zu ergründen und zu ordnen.

In der Kunst werden, ausgehend vom menschlichen Erleben, Bilder und Darstellungen gesucht, die die Beziehungsstrukturen erkennbar und erfahrbar machen. Es wird weniger in kleine Einheiten geteilt als der Versuch unternommen ganzheitliche Sichten zu finden. Dies kann wiederum sinnlich erfahren werden. Die sinnliche Wahrnehmung ist intuitiv. Eine intuitive Wahrnehmung kann gleichzeitig wesentlich mehr aufnehmen als es mit Logik kontrolliertem Verstand möglich ist. Daraus können neue Erkenntnisse gewonnen werden.

Die Fähigkeit innere Bezugsstrukturen zu erkennen, darzustellen und mit ihnen gestalten zu können, kann die Angst lindern, nur ausgeliefert zu sein. Diese Methoden der Welterfassung sind nicht strikt getrennt. Sie verbinden sich oft. Sie ergänzen sich.

 

 

 

6 zeitgenössische Kunst

 

pluralistisch - verschiedene individuelle Ansätze

Die gegenwärtige Kunst erscheint äußerst vielschichtig und verwirrend. Aber auch das ist ein Zeichen unserer Zeit mit ihren pluralistischen Ansichten. In der Demokratie kann jeder eine eigene andersartige Meinung haben. Denkweisen sind weitgehend unabhängig von Vorgaben. Die Kunst ist frei, in kein System eingebunden, was sogar in der „Kunstfreiheit“ gesetzlich garantiert ist. Aber auch die Probleme sind mehr, vielleicht auch gravierender geworden.

Die Betrachtung von verschiedenen Landschaftswahrnehmungen mag dies verdeutlichen. Früher machte man sich zu Fuß auf Wanderschaft, ritt zu Pferd oder fuhr mit der Kutsche.

Wir rasen mit Auto, Hochgeschwindigkeitszug und Flugzeug von einem Ort zum anderen, von einem Kontinent zum anderen. Allein die Geschwindigkeit, wie die Länge der Strecken, mit denen wir die Landschaft durchqueren, hat sich sehr verändert. Straßen selbst, wie die Autobahnen verändern die Gegend. Der Bauer pflügt nicht mehr, lange hinter seinem Pferd hergehend, sondern sitzt in seiner klimatisierten Traktorkabine fast 2 m über der Erde, nebenher Radio hörend. Wie wir nicht mehr mit der Kutsche fahren, so entspricht auch eine idyllische Landschaftsmalerei wie im 19. Jh nicht mehr der Wahrnehmung unserer Zeit. Dies wäre nicht mehr authentisch und nur als geistige Flucht zu verstehen. So muss sich auch die künstlerische Beschäftigung mit der sichtbaren uns umgebenden Natur, der Landschaft, sich neue Darstellungen erschließen. Das heißt nicht, dass die Wahrnehmung und Darstellung von Schönheit heute nicht möglich sei. Im Gegenteil: Kunst muss auch eine Sensibilität für Schönheit, für subtile Wahrnehmung schaffen. Nur ist zwangsläufig unsere Ästhetik eine andere.

 

 

 

7 Kunst und Rezipient

 

Anfangs habe ich vom Prozess des Sichtbarmachens der „inneren Bilder“ durch den Künstler gesprochen. Dadurch entstehen künstlerische Produkte. Diese können nun von anderen wahrgenommen werden. Da jeder Mensch einen Speicher von gelebten Bildern hat, kann, wenn er sich darauf einlässt, eine innere Berührungen seiner eigenen „inneren Bilder“ mit dem Kunstwerk stattfinden. Dieses kann auf Bereiche treffen, die ähnlichen Ursprungs sind oder ähnliche Strukturen haben. Diese Kommunikation findet nicht mit logischen Argumenten, sondern mit intuituver Übereinstimmung statt. So kann auch der gespeicherter Bilderstrom des Rezipienten zu einer neuen Bewertung kommen und in einen neuen Bewußtseinsstand transformiert werden. Die Neubewertung von vergangenen Situationen kann zu einer veränderten Reaktion auf gegenwärtige Zustände führen. Der Rezipient kann auf der Suche nach Erkennen und neuer Erfahrung das Kunstwerk als Vorarbeit des Künstlers aktiv wie einen Katalysator zu einer eigenen erweiterten Wahrnehmung und eigenen Veränderung nutzen.

Dies ist der Schritt, in dem der Sinn von Kunst zum zweiten mal stattfindet. Jetzt erst erfüllt sich die Aufgabe des Kunstwerkes, Kreativität und Transformation auszulösen. So verstehe ich den Künstler als einen Dienstleister für geistige Aktivitäten. Er bietet mit seiner Arbeit Mithilfe an, sich mit der eigenen Existenz auseinanderzusetzen.

Natürlich ist auch beim Rezipient die Bereitschaft und Anstrengung erforderlich sich auf das Kunstwerk einzulassen. Es ist dann nicht mehr wichtig von was der Künstler ausging, sondern was das Kunstwerk auslöst und freisetzt.

 

 

 

Kunst will Verborgenes sichtbar machen

Kunst will Freiräume schaffen

Kunst will die Erkenntnis erweitern

Kunst will die Achtsamkeit fördern

Kunst will daraus Wandlungen herbeiführen

 

Kunst ist zutiefst menschlich