Werner Meyer, Kunsthalle Göppingen, 2003
Zur Arbeit Michael Danners
Ausstellungseröffnung Städtische Galerie Kunstverein Wendlingen
Wer Michael Danner und die Entwicklung seines künstlerischen Werkes verfolgen konnte – für mich sind das etwa 15 Jahre –, der erinnert sich noch an die großformatigen, farbstarken gestischen Bilder, seine Herkunft aus dem Informel. Die malerische Geste war einerseits Spur seiner inneren Dynamik, andererseits verdichtete sie sich zur Form. Mit den Farben entstand ein Bildraum. Mit den Jahren reduziert Michael Danner die Farbe und konzentriert die Gestik.
Schon immer verwandte er als Bildhauer die elementaren Materialien Stein, Holz und Stahl. Michael Danner demonstrierte seine Beziehung zur Natur auf der einen Seite mit Stein und Holz, auf der anderen Seite betonte er den künstlerischen Geist des Komponierens, wofür die Elemente aus Stahl stehen. Auch diese bildhauerischen Materialien erfahren eine gut erkennbare konzeptuelle Konzentration und bekommen eine elementare Bedeutung. Während früher die intuitive Erfahrung eine wesentliche Rolle spielte, so spiegeln die Werkgruppen jetzt ein klares Konzept, das Michael Danner in reihen systematisch auslotet. Die Impulsivität der malerischen, farbigen Sprache ist höchster Kontrolliertheit des Gestus gewichen.
An zwei Stellen lässt Michael Danner in dieser Ausstellung quasi hinter die Kulissen schauen. Einmal in der Kombination von malerischer Bewegungszeichnung und einer Tekwandoo Übung, aufgezeichnet als Videoperformance. Letztere zeigt den Künstler, wie er in schneller Folge mit der Handkante (Faust) und den Füßen in alle Richtungen Bretter zertrümmert. Das erfordert in extremer Form Dynamik und zugleich die hohe Kunst der Körperbeherrschung. Diese Übung, jahrelang trainiert, gehört als Kampfsport im weiteren Sinn zur Kultur des Zen-Buddhismus. Dann sehen Sie, meine Damen und Herren, wie der Künstler diese Übung überträgt in die malerische Bewegung auf der Leinwand und ihrem Bildraum, gleichermaßen als Geste aus dem Zentrum seines Körpers, den erfassbaren Raum einkreisend und ihn in allen Richtungen durchmessend, immer den Körper als Zentrum, als inneren Mittelpunkt der Bewegung. Daraus entsteht ein konzentriertes Bewegungszeichen, ein Bild, in dem Dynamik und Konzentration, Impuls und Beherrschung aus dem Körper u n d dem Geist heraus eins werden, kraftvoll und spirituell zugleich. Für beides ist der Fluss der Bewegung wesentlich.
In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts hat ein amerikanischer Professor namens Eugen Herrigel ein Buch geschrieben: „Zen in der Kunst des Bogenschießens“. Er hatte einen Lehrauftrag für Anglistik in Japan angetreten unter der Bedingung, von einem Zen-Meister die Kunst des Bogenschießens zu erlernen. Aus zwei Jahren wurden sieben und er lernt im Grunde die unterschiedlichen Haltungen westlicher und fernöstlicher Kultur. Während der westliche Bogenschütze des Bogen spannt, zielt und das Treffen des Zentrums zum Ziel hat, geht es in der Zen-Übung um das Erlernen einer konzentrierten Bewegung, in der Physis und Geist eins werden. Beherrscht man diese, und das dauert Jahre, so trifft man von selbst. Wobei das Treffen nicht wesentlich ist, nur Ausdruck einer inneren Harmonie, der Meditation in der Bewegung. Und die Kraftanstrengung wird im Fluss des Bewegungsablaufes aufgehoben.
In abgewandelter Form finden wir diese Haltung in vielem, besonders in den Tuschzeichnungen Michael Danners in dieser Ausstellung. Die Geste ist ein Moment, die Konzentration finden wir an den Punkten der Berührung. Ein ganzer Block zeigt in ständig wiederholter Übung zwei Pinselstriche – einer von oben, einer von unten – und das Wesentliche ist die beinahe Berührung, immer und immer wieder, wie eine solche Zen-Übung der Körperbeherrschung in zwei sich begegnenden Gesten. Körper entspricht Bewegung, Geist entspricht Konzentration.
In einer Videoarbeit sehen wir zwei sich in den Fingerspitzen fast berührende Arme. Natürlich ist man an Michelangelos Darstellung von Gottvater und Adam in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan erinnert. Aus da liegt die Spannung in der beinahe Berührung. Hier bezieht sich diese Arbeit auf die gerade angesprochenen Pinselgesten. Wesentlich aber ist als körperliche und geistige Erfahrung die Wahrnehmung von Energie, von Spannung und Ruhe...
In anderen Tuschzeichnungen ist die Berührung wirklich vollzogen. Nur mit Wasser gemalte Flächen und Striche werden berührt oder durchzogen von gesättigten Tuschelinien. An dem Berührungspunkt breitet sich die Tusche in dem Wasser wie ein sensibles Berührungsenergiefeld aus.
Michael Danners malerisches Konzept hat die elementaren Dimensionen von Raum und Zeit zum Thema. In ihm begegnen und berühren und durchdringen sich physischer, körperlich erfahrbarer und geistiger Raum. Energie und Zeit spielen eine wesentliche Rolle: die schnelle, kontrollierte und zum Zeichen konzentrierte Geste und abrupte Langsamkeit, wenn sich in der Berührung das Energiefeld ausbildet. In diesen Bildern verbindet sich westliches, konzeptuelles künstlerisches Bilddenken mit der körperlich-geistigen Konzentration, wie wir sie in der fernöstlichen Pinselzeichnung als Zen-Übung kennen. Wie dies seine Entsprechung zwischen Natur und Geist findet, zeigen Blätter, in denen Michael Danner z.B. ein Eukalyptusblatt aufklebt auf ein weißes Blatt Papier und dem Bogen und Schwung der Naturform mit der Dynamik eines Pinselstriches antwortet. Beide treffen sich in der Spitze, und genau dort liegt das Zentrum des Kunstwerks, das geistige Zentrum der Erfahrung und Wahrnehmung.
Sein elementares Raumverständnis eröffnet Michael Danner in einem ausgehängten Textblatt (siehe auch letzter Katalog). Was er dort begrifflich benennt, erfahren wir in seiner Skulptur – die Materialien verkörpern Räume.
Im S t e i n ist der E r d r a u m begriffen – dicht und schwer ist er „Basis alles Körperlichen, Zentrum der inneren Schwerkraft“. In den kubischen, nahezu würfelförmigen Stein der Figurengruppe ist ein Keil geschnitten, die beiden Seiten sind leicht abgesenkt. So erfahren wir diese Schwerkraft, spürbar und doch schwer zu erkennen.
Der H o l z würfel, von allen vier Ecken aus eingeschnitten, öffnet sich, wenn er trocknet. Die Form suggeriert Ausbreitung in den Raum, zur Seite und nach oben. Hier erfahren wie den zweiten, den V e g e t a t i o n s r a u m. Die Natur überwindet die Schwerkraft nach oben und breitet sich aus.
Schließlich der S t a h l k ö r p e r. Mit seiner klaren Form und Geometrie verkörpert er in diesem Material menschlichen Verstand und Rationalität. Wir haben das Material der Erde abgerungen zur logisch mathematisch fundierten Konstruktion.
In der Form des Würfels, in ihrer Bewegung und dann in Farbe und Licht der Malerei entfaltet sich der g e i s t i g e R a u m , der immaterielle Raum der Imagination – d.h. Bildwerdung -, der Raum der Empfindung, der Konzentration und so gemeint auch Bedeutung. Und das ist schließlich das Ziel, das den Menschen ausmacht, einen geistigen Raum sich zu eigen zu machen. Darauf zielt alle Meditation, alle Vorstellungskraft, und die hat nach fernöstlicher Lehre und Geisteshaltung im Einfachen und Elementaren den wesentlichen Ausgangs- und auch wiederum Zielpunkt.
Jetzt verstehen wir auch die Rolle der Photographien von Wasseroberflächen. In der einen löst die Berührung mit einem Blatt ein Energiefeld konzentrisch vom Berührungspunkt sich ausbreitender Wellen aus; im anderen Bild sind es kleine Steine, die ein Muster in der Wasseroberfläche bilden.
In dem Haufen von Fundsteinen vermittelt sich uns der geologische Prozess, wie über Millionen von Jahren, durch Eiszeit und die Kräfte des Flusses Steine ausbrechen und rund geschliffen werden, und die kreisende Bewegung sich in ihrer Oberfläche abzeichnet. Die Form und die Zeichnung in der Natur bringen uns einen ganz anderen, außerhalb unseres Lebens stattfindenden Prozess in Raum und Zeit vor Augen. Zeichnung in der Natur als beobachtende künstlerische Disziplin der Wahrnehmungsschulung ist auch hier zum Kunstwerk verdichtet. Das künstlerische Konzept Michael Danners findet einmal mehr in der Natur seine Entsprechung. Für unsere geistige Weltsicht ist es gleichgültig was zuerst da war. Diese Frage ist so wenig zu lösen wie die von der Henne und dem Ei.
Noch ein Hinweis zu den Kreisen über den Lexikon-Seiten. Jeder Kreis umfasst zugleich einen Atemzug – wieder eine solche konzeptuelle und meditative Übung. Über das rationale, in Wort und Bild erfasste Wissen legt sich der existentielle, körperlich und meditativ geistige Ausdruck eines Denkens und Fühlens ganz anderer Natur, wie sie auch die freie gestische Malerei des Westens wie die des Zen-Buddhismus in Anspruch nimmt. Dies ist nur erfahrbar und begreifbar im Tun und s o handelt und macht sich dies der Künstler zu eigen – im Bild, immer und immer wieder, indem sich Zeit verdichtet, Dynamik und Ruhe eins werden. Das ist meditative Konzentration und sie wird Bild. Das meinen übrigens auch die Bilder von Andy Warhol, wenn die Suppendose oder auch das Bild von Jacqueline Kennedy in vermeintlich unendlich möglicher Wiederholung die Fläche füllen.
Zum Schluss möchte ich auf die monochromen Bilder mit den feinen Ritzungen zu sprechen kommen. Die Farbe ist der geistige Raum, die Ritzung eine physische Manifestation. Michael Danners Interesses ist es, den physikalischen und den geistigen Raum im Schnittpunkt der Ritzung zu erfassen. Dort berühren sie sich. Gleichzeitig sucht der Künstler Vorder- und Rückseite zu verbinden, von vorne und von hinten zu malen. Durch die Ritzung dringt von hinten die Farbe, manchmal so stark, dass Sie wie Flüssigkeit aus einer Wunde nach vorne über die Leinwand fließt. Lucio Fontana hat die monochrome Fläche seiner Concetti spatiali wirklich aufgeschnitten und den Raum dahinter mit der zweidimensionalen Fläche des Bildes verbunden. Michael Danner schneidet nicht auf, sondern macht in der Ritzung die Oberfläche noch einmal und physisch lucid, als ob Licht von hinten her durchscheint. Auf diese Weise geschieht in der Leinwand, in der Farbe, die Berührung von materialem und geistigem Raum der Malerei. Da, wo sich die beiden berühren, fast berühren oder auch sich gegenseitig durchdringen, da ist die Mitte, das Zentrum, das Wesentliche des Kunstwerks. Da wird die Bewegung zum Bild, wird körperliche Erfahrung zur geistigen Existenz des Menschen. Das klingt ein wenig feierlich und pathetisch und ist, wie die Kunstwerke Michael Danners zeigen, doch so einfach und direkt spürbar und zu begreifen, wenn man sich darauf einlässt.
Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, am Schluss eine konstruktive Kritik an der Ausstellung, die das Werk nicht schmälern wird, im Gegenteil, seine Stärke hervorhebt. Ich würde gerne etwas ausprobieren: In jedem Raum nur ein Werk, das dann unsere ganze Aufmerksamkeit und Konzentration in Anspruch nähme. Ich glaube, erst dann käme uns die ganze Radikalität dieser Bilder zu Bewußtsein. Aber würden wir das aushalten, uns so intensiv auf die Arbeiten einzulassen?