Dr. Margit Zuckriegl, Salzburg, 2006

 

SPUREN UND ZEICHEN

Anmerkungen zum Werk von Michael Danner

 

Das zeichnerische, malerische und skulpturale Werk von Michael Danner ist nicht in erster Linie eine Aneinanderreihung von Blättern, Bildern und Objekten. Die Werke sind nicht als in sich geschlossene Einzelteile zu sehen, sondern als miteinander verbundene Elemente eines großen, prozesshaft angelegten Entstehungsvorganges. Es gilt daher, nicht einzelne Zeichnungen oder Bildtafeln zu bewerten, nicht eine Plastik herauszugreifen oder eine räumliche Installation in ihre Details zu zerlegen, sondern einen großen Zusammenhang zu erkennen und der zugrunde liegenden Intention nachzuspüren.

Michael Danner schafft seine Werke nicht aus dem Gefühl für die endgültig gefundene Form heraus, sondern aus dem immer neu zu definierenden Ansatz auf der Suche nach Lösungen. Seine Kunst-Werke sind daher nicht unmittelbar als „Werke“ zu sehen, sondern als Manifestationen in einem fortschreitenden Kontinuum, als Relikte eines prozessualen Vorgangs, als Materie gewordenes Innehalten auf dem Weg der permanenten Veränderung.

Danners Werkbegriff ist ein offenes System, das in einer umfassenden Sicht auf die Welt, auf das universale Ganze, auf den Menschen und seine Sinne eine Art Energiefeld schafft, aus dem heraus geistige Potenziale Form annehmen.

Ähnlich wie den großen asiatischen religiösen und philosophischen Schulen ist dieser Vorgangsweise eine zutiefst erfühlte Nähe zum menschlichen Körper und den Kreisläufen der Natur eigen. Wie sich die Zen-Meister auf die Atmung, die Rhythmik der Bewegung, die sensitiven Empfindungen des Körpers beziehen, wie sich die Dichter, Lyriker, Maler und Kalligraphen auf die abstrahierten und konzentrierten Erscheinungsformen der Natur berufen, auf die zeitlichen Abläufe des Jahreskreises und die poetische Symbolik der Pflanzen- und Tierwelt, so erreichen auch die auf diesen Prinzipien basierenden Techniken der Körperbeherrschung, der Selbstverteidigung und der Meditationsausübung dieses hohe Maß an Geistigkeit.

Tae-Kwon-Do, die koreanische Kampfsportart, konzentriert sich in ihren Grundlagen auf die Potenziale der Atmung und der konzentrierten Energie durch  maximale Körperkontrolle, die alles auf einen Punkt hin konzentriert und damit die gesamte mentale und physische Kraft bündelt: Faust-Fuß-Geist, heißt der Begriff in direkter Übersetzung und umreißt damit die Zentren menschlichen Handelns.

Auf den Zen-Lehren basierend wird der Mensch als Teil der Natur gesehen, der sich innerhalb des Kreislaufes des Jahres, des Werdens und Vergehens eingliedert in die unwillkürlichen Abläufe der Schöpfung.

In keiner künstlerischen Form ist diese Synthese, dieses Eins-Werden des menschlichen Ichs mit dem großen Geist des Weltganzen so konzentriert und doch so rätselhaft verwirklicht wie in der dichterischen Form der Haikus.

Der Zen-Mönch Matsuo Bashô lebte in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Japan als mittelloser Wanderer; er hinterließ ein wunderbares Kompendium an dichterischen Miniaturen, Haikus, die in ihrer Weisheit und Unscheinbarkeit, in ihrer allumfassenden Erkenntnis und ihrer bescheidenen Sicht auf den Alltag des Menschen zum Vollkommendsten der Geschichte der Lyrik gehören.

Bashôs Gedichte umfassen wenige Zeilen, genau abgezählte Silben und bedienen sich einer ausgefeilten Rhythmik; sie erzählen von den fein empfundenen Eigenheiten der Jahreszeiten, den zarten Blütenblättern an blühenden Bäumen, den spiegelnden Wassern, sie schildern die Spuren der Tiere im Schnee, die vom Sommer übriggebliebenen Sandalen, die klagenden Laute der Vögel. Sie beschwören ohne Pathos und große Worte die absolutesten Dinge wie das Unabänderliche der Zeit, die gläubige Stille im Tempel, die Sinn-Zeichen eines Berges, eines Grashalms.

Michael Danner ist ein Künstler, der diese in sich verwobenen Kleinst-Betrachtungen achtet, der sich mit Zen und Meditationstechniken befasst und selbst Inhaber des 2. Dan ist. Seine Werk-Intention ist in diesem Sinn nicht das Streben nach Produktion und fertigen Ergebnissen, sondern die Suche nach Abläufen, nach sich entwickelnden Vorgängen und nach einer synthetischen Verbindung von sensualen Empfindungen und geistigen Konzeptionen.

1.

„Im Blütenschatten
bin ich wie in einem Nô - Spiel
auf meiner Reise.“

Eine Mal-Aktion von Michael Danner, die er im Jahr 2003 in Ulm in Szene setzte, beschreibt die perfekt austarierten Körperkräfte und Radien des menschlichen Handelns. In der Aktion sichtbar gemacht, sind diese Linien und Zeichen die nun lesbar gewordene Spur eines energetischen Systems: der Mensch in einem Bewegungsbogen, dessen Ausmaß der Körper und sein Gestus bestimmt. „Aus der Mitte zur Mitte“ ist der Duktus dieser Handlung – eine Reise, unendlich in sich kreisend und zu sich zurückführend, eine Bewegung auf genau definiertem Terrain, gleichsam ein Koordinatensystem ausgespannt zwischen den vier Himmelsrichtungen.

2.

„Gräser des Sommers!
Von all den stolzen Kriegern –
die Reste des Traums.“

In der Korrelation von Zeichen und Inhalten liegt die immer neu ansetzende Suche nach der absoluten Reduktion, den minimalsten Spuren, den fundamentalsten Formen. Michael Danner verleiht dem einfachsten und doch elementarsten menschlichen Tun, dem Atemzug, Gestalt und Form, indem er die Länge und Intensität des Ausatmens in einer einzigen Kreisbewegung festhält. Mit den unterschiedlichen Kreiszeichen füllt er Buchseiten, die damit zum Dokument der Lebendigkeit werden. In den einfachsten Chiffren, den linearen Strichen der Gräser, den vibrierenden Umfangspuren des Kreises sind die Erinnerungen an Leben, an Natur, an Ereignisse beschlossen. Das Vergehen und Verblassen gehört genauso in diese Atmosphäre des Organischen wie die Ahnungen des Körpers und die unscheinbaren Bewegungen des Atems.

3.

„Der Tempel von Mii.
Ah, wenn du ans Tor schlägst –
der heutige Mond.“

Michael Danners Bilder sind Bildtafeln, denen eine sonderbare, unruhige Harmonie eigen ist. Die monochrome Fläche zeichnet sich durch ausgewogene Proportionen aus, meditative Tiefe der Farbe und hohe Intensität des Raumeindrucks. Irritiert wird dieses Gleichgewicht durch einen Akzent: wie ein Schlag gegen die Stummheit, wie eine Rückbesinnung auf das Hier und Jetzt – durch eine leichte Verletzung der Oberfläche, die vehement auf die Fläche einwirkt, wird man dieser Spur, dieser Narbe gewahr. Die Bildfläche ist das Kontinuum von Farbe und Raum, ein Ausschnitt aus dem Unendlichen, wie der Tempelbezirk ein Teil der ganzheitlichen Stille ist. Der abrupte Eingriff ist ein Zeichen, eine Umdeutung der immateriellen Bildidee in eine gegenwärtige Form, eine Abänderung der intentionalen Vollkommenheit hin zu einem realen Gebilde voll von Spannungen, Unsicherheiten und  pulsierenden Vibrationen.

4.

„Die Hütte im Sturm.
In der Schale den Regen
hörst du in der Nacht.“

Das Innen und Außen von Objekten und Skulpturen ist das zentrale Thema der Bildhauerkunst seit je her. Vielfach werden Plastiken nur auf ihre Oberfläche, ihre Epidermis hin konzipiert ohne dem Eigenleben und der inneren Struktur des Materials gerecht zu werden – so manche Skulptur gibt es demnach in Stein, gleichermaßen wie als Bronze, in Terrakotta, wie auch als gegossene Form. Die kubischen Objekte von Michael Danner gehen im Gegensatz dazu von der Idee der Materie aus und verleihen diesen amorphen Elementen Gestalt und Form. Dem Stein entspricht die Erde, aus der er hervorgeht, dem Holz das Wachsende von organischen Stoffen und dem Stahl das Rationale von menschlichen Artefakten. Ihre inneren Spannungen und Bewegungen prägen die formalen Veränderungen: Spaltungen lassen das Holz bersten, Fräsungen markieren die Steinblöcke und eingesenkte Biegungen verleihen dem Stahl sanfte Dehnung und schwingende Leichtigkeit. Wie sich das Innen einer Schale nach dem Außen richtet, der aufgefangene Regen in der Rundung glitzert, die Gestalt der Hütte sich gegen den nächtlichen Sturm absetzt, so formulieren die Objekte Danners die einfachen, konzentrierten Eigenschaften der Materie.

5.

„Hin- und herüber,
das Herz, so wie die Weide,
läßt alles geschehn.“

Das Schwingen, unbemerkt und in sich verhalten, die ausbalancierte Rhythmik, das langsame In-Sich-Wiegen sind Kriterien, die in der ostasiatischen Kunst zu den Errungenschaften höchster künstlerischer Könnerschaft zählen, in der westlichen Kunst dagegen nur im camouflierten Zustand auftauchen. Gerade nur die abstrakte Kunst versuchte sich an diesen Fragen und geriet dabei nahe an meditative oder religiöse Inhalte. Frei vom Pathos der narrativen Inhaltlichkeit widmet sich Michael Danner in seinen großen Skulpturen und Installationen diesen Prinzipien der Balance, der Spannung, des Hin- und Herübers, des Atemanhaltens und der energetischen Kraftflüsse. Seine Stein-Stahl-Konstruktionen erhalten sich selbst in ihrer Position durch die natürlichen Kräfte ihrer Materie; das Aneinanderlegen von Elementen, das Auseinanderkragen von Teilen, das kongeniale Verbinden von heterogenen Materialien lässt sie wie neu geschaffene Formationen erscheinen – sie lassen alles geschehn, ohne Zwang, ohne theoretisches Konstrukt, so wie die Weide, die dem Wesen der Natur entsprechend biegsam ist und fest, sich wiegend.

Die Haikus sind zitiert nach:
Matsuo Bashô, Hundertelf Haikus, Zürich 1985